Bei sehr vielen (ich würde sogar behaupten, bei allen) Familien mit mehreren Kindern steht Geschwisterstreit auf der Tagesordnung. Aber auch bei Ein-Kind-Familien ist dieses Thema immer wieder aktuell, weil man es fast 1 zu 1 auf Streitsituation auf dem Spielplatz oder bei Freunden zu Hause umlegen kann.
In diesem Artikel sehen wir uns an, wie wir Geschwisterstreit gut begleiten können, ohne Partei zu ergreifen oder den Konflikt noch zu verstärken.
Warum ist das wichtig?
Wenn es uns gelingt, Konflikte zwischen Geschwistern/Kindern friedlich zu begleiten, ohne dabei Partei zu ergreifen und immer die Bedürfnisse im Hinterkopf haben, desto mehr stärken wir die Geschwisterbeziehung. Auch negative Schwingungen wie Eifersucht oder Geschwisterrivalitäten werden dadurch reduziert.
Hier ein Beispiel für einen klassischen Geschwisterstreit
Marion ist sieben, ihre kleine Schwester Nina ist drei Jahre alt. Beide spielen in einem Zimmer. Plötzlich gibt es einen riesen Tumult und aus dem Spielzimmer tönt lautes Geschrei.
Die Mutter läuft ins Kinderzimmer und nimmt Nina, die laut weint, in den Arm. Sie wendet sich an die ältere Marion und fragt in scharfem Ton: „Marion, was hast du denn schon wieder gemacht, dass Nina weint?“
Marion: „Sie hat auf meinem Einhornbild herumgekritzelt.“
Mutter: „Und was hast du dann gemacht?“
Marion: „Ich hab ihr gesagt, sie soll damit aufhören, weil ich das nicht will. Aber sie hat immer weiter gemalt.“
Mutter: „Und was war dann?“
Marion: „Dann hab ich sie von meinem Bild weggestoßen, weil sie einfach nicht aufgehört hat.“
Mutter: „Aber du bist die Ältere von euch beiden! Nina ist noch so klein, sie versteht das noch nicht so gut. Wir haben doch vereinbart, dass wir uns gegenseitig nicht weh tun.“
Marion: „Ja schon, aber…“
Die Mutter schimpft jetzt mit Marion: „Das war absolut nicht in Ordnung, Marion, und das weißt du! Wir schlagen nicht in dieser Familie!“
Sie wendet sich wieder der noch immer weinenden Nina zu, um sie zu trösten. Marions traurigen und doch wütenden Blick sieht die Mutter gar nicht, weil sie sie einfach nicht mehr beachtet.
Marion versucht es jetzt noch einmal etwas lauter: „Aber eigentlich hat doch Nina angefangen und nicht ich, ich hab doch gar nichts gemacht!“
Und jetzt wird auch Nina laut: „Nein, das stimmt gar nicht“!
Beide Mädchen steigern sich jetzt so richtig rein, bis die Mutter sie mit körperlichem Einsatz trennen und in verschiedene Zimmer schicken muss. Situation gelöst? Nicht wirklich! Beide Kinder sind wütend und gekränkt, der Konflikt ist also nur verschoben, aber nicht gelöst.
Was läuft grundsätzlich schief beim Geschwisterstreit?
Im Grunde genommen ist Geschwisterstreit völlig normal und auch gesund, da Kinder einfach noch nicht die richtigen Werkzeuge an der Hand haben, Konflikte friedlich zu lösen. Wir können aber mit unserem Verhalten dazu beitragen, den Kindern genau diese Werkzeuge mitzugeben, um zukünftig anders mit Konflikten umzugehen. Ein großer Vorteil ist, wenn wir es schaffe, nicht Partei zu ergreifen und hinter die Bedürfnisse zu blicken. Außerdem sollten wir die Kinder in die Lösungsfindung einbinden, um ihr Konfliktlösungspotential zu stärken.
Meistens suchen wir bei einem Streit nach einem Schuldigen, was sehr oft leider automatisch das ältere Kind ist. Wir konzentrieren uns auf das Verhalten und erwarten vom Älteren Vernunft, die hier gehirnentwicklungstechnisch teilweise noch gar nicht vorhanden sein kann. Besser wäre, herauszufinden, welches Grundbedürfnis hinter dem Streit steckt.
Wie hätte die Mutter nun besser reagieren können?
Zuerst einmal hätte sie beide Kinder liebevoll in den Arm nehmen sollen, um ihnen zu vermitteln, dass auch im Moment des Geschwisterstreites beide bedingungslos geliebt werden. Statt „Was hast du schon wieder gemacht?“ wäre ein „Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?“ ein liebevollerer Einstieg. Würde sie ihrem älteren Kind besser zuhören und hätte Marion die Gelegenheit gehabt, wirklich sagen zu dürfen, was sie gestört hat, hätte sie hinter die Fassade blicken und das Grundbedürfnis dahinter erkennen können.
Hier spießen sich nämlich zwei unterschiedliche Grundbedürfnisse der Kinder: Marion hatte in dem Moment das Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug und hätte das Bild gerne in Ruhe fertig gemalt. Nina dagegen hatte das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und wollte unbedingt das machen, was auch ihre Schwester gerade macht. Wenn ich das als Mutter erkennen kann, habe ich ganz andere Möglichkeiten zur Konfliktlösung:
Mutter: „Ich verstehe, Marion! Du möchtest jetzt gerne dein Bild alleine und in Ruhe fertig malen, richtig?!“
Marion: „Ja, genau! Und wenn Nina mir ständig reinkritzelt, dann geht das nicht.“
Mutter: „Und du, Nina, willst jetzt nicht mehr alleine spielen und würdest so gerne was mit deiner Schwester machen, oder?!“
Nina: „Ja, aber Marion will nicht mit mir spielen.“
Mutter: „Habt ihr eine Idee, wie wir das jetzt lösen können?“
Marion: „Wenn ich mein Bild fertig gemalt habe, können wir ja alle gemeinsam ein Spiel spielen.“
Mutter: „Nina, ist das für dich auch ok? Dann kannst du bis dahin mit mir gemeinsam etwas jausnen.“
So sind beide Bedürfnisse der Kinder gestillt UND sie hatten die Möglichkeit, selbst einen Weg aus dem Konflikt zu finden. Beim nächsten Mal fällt ihnen dieser Weg vielleicht gleich ein und es kommt gar nicht erst zum Streit.
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